| DIE LINKE und die Traditionvon F. Kaiser Beim Parteitag in Cottbus wurde auch von Traditionen  gesprochen und von der alten SPD. Beim Lesen der Rede Oskar Lafontaines wehte  mich etwas vom Geist dieser Partei vor dem I. Weltkrieg an. Schmerzlich stießen  mir Unterschiede auf.  Wie wurde diese alte SPD? Arbeitskämpfe der Arbeiterschaft  beantwortete Reichskanzler Bismarck mit Ausweisungen der „Rädelsführer“. Doch  die Ausgewiesenen verbreiteten wie Samenkörner die Erkenntnis, dass man sich  gegen Willkür wehren muss. Bismarck verbot die Partei. Dennoch stieg die Zahl  ihrer Reichstagsmandate. (Wie ging das? Das kaiserliche Deutschland kannte ein  Personenwahlrecht. Nicht Parteien, sondern Kandidaten errangen die Sitze.) Und  die Sitze der SPD stiegen kontinuierlich bis zum I. Weltkrieg an. Ihre  Mitglieder und ihre Kandidaten, welche die SPD im Reichstag vertraten, kamen  aus Arbeitskämpfen, aus „Massenbewegungen“, wie wir heute sagen würden. Und  über allem stand August Bebels Aufruf: „Diesem System keinen Mann und keinen  Groschen!“  DIE LINKE heute? Sie strebt nach Regierungsbeteiligung in  den Ländern – und muss dann Hartz IV durchsetzen, denn Bundesrecht steht über  Landesrecht. Sie bekommt prompt die Quittung mit sinkender Stimmenzahl bei der  nächsten Wahl in diesem Land. Wo kommen die Zugänge für DIE LINKE her? Es sind  die Überläufer der SPD, der heutigen SPD. Die Losung August Bebels kennen sie  nicht mehr, kennen Parteitaktik, politische Intrige und Machtgerangel. Die  Ziele, die Sache – welche Sache? Überläufer aus der heutigen SPD fühlen sich als Teil des  Systems. Sie sind unzufrieden mit der SPD, welche die Sache der Arbeitnehmer  konstant verrät. Doch sie fühlen sich als „Arzt am Krankenbett des  Kapitalismus“ – es gibt ja keine Alternative mehr seit 1989. Wirklich?  Doch bleiben wir bei den „Überläufern“. Sie sind guten  Willens, aufrichtig, sicher auch eine Bereicherung für DIE LINKE. Doch  eigentlich ist die Partei, die sie aufnimmt, eine Trittbrettfahrerin, die von  den Fehlern einer anderen Partei profitiert. Dagegen ist nichts einzuwenden.  Doch scheint, dass DIE LINKE keine andere Quelle für neue Mitglieder hat. Das  wird nicht reichen für die Durchsetzung der 100 Punkte ihrer  Bundestagsfraktion.  Erinnern wir uns der Tradition der alten SPD, der  erfolgreichsten Partei Europas vor dem I. Weltkrieg. Sie konnte keine  Enttäuschten anderer Parteien aufnehmen. Ihre Mitglieder kamen aus der  Arbeiterklasse. Man nannte sie damals so und schämte sich nicht dafür. Warum  tut man das heute? Weil eine allgewaltige Medienlandschaft von Arbeitgebern und  Arbeitnehmern spricht, von Verbrauchern und Konsumenten, von Steuerzahlern und  Nutzern des sozialen Netzes, von Leistungsträgern und solchen, die es sich  gemütlich im Sozialstaat einrichten – deshalb sind klare Worte verpönt,  unzeitgemäß – wie die allgewaltige Medienschelte klare Worte bezeichnet.  Doch das ist ein Rauchvorhang, der mit Worten bemäntelt, was  unverändert seit Kaisers Zeiten besteht: die, da oben und die, da  unten. Und „die, da oben“ haben damals wie heute das gleiche Bestreben: Wie  kommt dein Geld in meine Tasche? Dieses Ziel gilt dort für jeden. Man will auch  das Geld von seinesgleichen, vom Konkurrenten – nur, das ist nicht so leicht.  Der ist mächtig, kann sich wehren wie man selbst. Wo geht es leichter?  Von „denen, da unten“ ist das Geld zu holen. Den Staat hat  man schon lange in der Tasche. Gesetze begründen wie Hartz IV ist  intellektuelles Geschick, daran mangelt es nicht. Wenn man nur das Volk in  Dummheit halten und von seinen wahren Problemen ablenken kann, ist der Angriff  auf die Armen von Erfolg gekrönt. Nicht auf die Armen, bleiben wir korrekt, der  Angriff richtet sich auf ihr Geld – was sie schon haben und was sie sich  erarbeiten könnten – könnten, aber nicht erhalten. Und aus diesen Armen formen  sich heute Protestbewegungen, Montagsdemonstranten und Netzwerke der  verschiedensten Art.  Die Ausgebeuteten, die Unterdrückten – das war die Klientel,  aus dem die Mitglieder der alten SPD kamen – wohlgemerkt, der SPD von August  Bebel und Wilhelm Liebknecht. Warum sucht DIE LINKE keinen Schulterschluss mit  den Ausgebeuteten von heute, unterstützt nicht die „Massenbewegungen“ von  heute? Warum kommen neue Mitglieder für DIE LINKE nicht von dort?  Wenn sich DIE LINKE doch nur dieser Tradition erinnern und  danach handeln könnte! Dann wäre mir nicht bange um „die Sache“ und ihren  Erfolg! |